Das Fest der Apokalypse

Das Fest der Apokalypse entspricht in seinem Grundcharakter der produktiven Verbindung höchst unterschiedlicher, ja auch gegensätzlicher Prinzipien einer basisorientierten Beobachtung von Phantastik: Es verbindet Weltuntergang und Feierstimmung, Zerstörungswelten auf der einen Seite und eine Form von festlichen Neubeginn auf der anderen. Zugleich schwingt auch ein für die Tradition der europäischen Phantastik  zentraler Aspekt mit – eine Art dekadenter Grundstimmung, die sich allerdings durchaus als ironiefähig erweist: Mit noch größerem Aufwand als die Welt erschaffen wurde, wird sie wieder zerstört!

Die europäisch-christliche Tradition bringt diese Apokalypse mit einem Weltgericht in Zusammenhang, welches das Gute und das Böse nunmehr definitiv scheidet. Das Fest der Apokalypse bietet also die letzte Möglichkeit, hier noch einmal im wechselseitigen Austausch voneinander zu profitieren und gemeinsam zu feiern. Aus der Sicht eines neugierigen Beobachters sollte dies eigentlich für die „gute Seite“ von besonderem Interesse sein, das traditionellerweise in der europäischen Kunstgeschichte das Gute als relativ banale, um nicht zu sagen langweilige Glückseligkeit vorgestellt wird, wohingegen das Reich des Bösen als ein vielfach ausdifferenzierte und ausgesprochen anregende, abwechslungsreiche Welt der Bestrafung imaginativ vorgestellt wird – auch wenn diese Welt mit vielen Schmerzen verbunden ist.

Die bildhafte Ausgestaltung dieser schmerzhaften Abwechslung hat sich in der europäischen Kunstgeschichte – aber nicht nur dort, wenn man insbesondere fernöstliche Bildwelten des 18. und 19. Jahrhunderts vergleicht – als speziell anregende Themenstellung erwiesen. Wie bereist vielfach festgestellt, ist insbesondre die Zeit des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit in diesem Bildbereich besonders produktiv. Dürers Holzschnittfolge bzw. die Welt der Niederländer des 16. Jahrhunderts, allen voran eines Hieronymus Bosch, legten mit ihren entsprechend ausgreifenden Bildschöpfungen ein langfristig wirksames Paradigma der visuellen Apokalypse vor.  Diese niederländische Malerei rund um Hieronymus Bosch präsentiert Bildkompositionen des Apokalyptischen, die mehr als ausgreifende Erzählstrategien vorstellen. Viele Handlungsstränge wurden aufgebaut, brechen ab, durchdringen einander und verbinden sich neu. Das gesamte hier in einer zweidimensionalen statischen Bildfläche vorgestellte Geschehen erweist sich als in besonderer Weise der gegenwärtigen Filmwelt nahe stehend – unser gegenwärtiger „filmische Blick“ ist gleichsam vorweggenommen: Jede Bildszene impliziert eine Reihe vorhergehender und nachfolgender Szenerien; die gesamte Bildkomposition wirkt wie eine Collage aus unterschiedlichen Filmkadern.

Diese spezielle collageartige Kraft eines solchen konsequenten Ein-Bildungsvorganges ist als Prozess für sich gesehen selbst wiederum Anlass für eine mögliche Reflektionsbildgeschichte, also eines Distanzierungsschrittes, der den Fluss dieser aus der Untergangsstimmung heraus entwickelten Bilderströme skeptisch betrachtet, vor allem ironisiert. Die „postapokalyptische Reise“, ein umfassendes Kunstprojekt des Duos Ramacher & Einfalt, ist ein Beispiel für Aufbau und ironische Brechung eines solchen in massiver Weise bildwirksamen Einbildungsprozesses.
Ein wesentliches Grundmoment in jeder apokalyptischen Bilderflut ist stets die Frage nach der konkreten Position des Betrachters in diesem wilden Geschehen: Wo steht er, was sieht er, wo partizipiert er? Ramacher & Einfalt bringen sich selbst als unterschiedlich identifizierte und darstellende Personen konsequent in die Bildserien ein. Sie sind direkt beteiligt und dennoch auch als quantité négligable zu betrachten. Sie selbst sind in besonderer Konzentration der stete ironische Bruch der Bildkompositionen, und ein solcher erscheint vor dem Hintergrund der jüngsten Kunstgeschichte rund um den Begriff Phantastik – speziell in Österreich mit der seltsamen Erfolgs- und Misserfolgsgeschichte der Wiener Schule des Phantastischen Realismus – von besonderer Bedeutung: Wirkt doch jede phantastische Bilderflut, wenn sie zu ernsthaft vorgetragen wird und den Anspruch auf allumfassende ideologische Struktureinschließung stellt, sehr bald wenig überzeugend und öffnet genau jener Bewegung Tür und Tor,  aus der sie selbst entstanden ist – dem phantastischen Zug zur „Anderen Seite“. Die Werkserie „postapokalyptische Reise“ ist sich dieser  letztlich sehr verengenden Gefahr bewusst, in ihrem bildhaften Weltende hat die Idylle genauso Platz wie ein synkretistisches Mit- und Nebeneinander von Erlösungsstrategien und auf den Moment hin orientierte Lustszenarien.

Das Fest der Apokalypse wird in dieser raumgreifenden Kompositionen primär als ein höchst produktiver Anregungsfaktor für Bildfindungen und Überlegungen im Sinne eines umfassenden Phantastik-Begriffes vorgestellt; als Intensivierung einer Suche nach internen Bildkonstruktionen, die durch permanente Wiederholung und Variation – und vor allem Mitteilung – sozial gebrauchsfähig werden und im Zusammenhang mit dem Thema Apokalypse in ihren stets neu variierten Spielformen generationsübergreifend wirken.

Jedes Fest der Apokalypse braucht einen Schauplatz; wenn dieser Schauplatz abhanden kommt, dann erleben wir tatsächlich das konsequenteste Fest der Apokalypse – in ihrer ausschließlichen Existenzmöglichkeit als absolute Internalisierung im Betrachter selbst.

Aus Andererseits: Die Phantastik / Oberösterreichisches Landesmuseum 2003